Atemwegserkrankungen
Atemnotsyndrom
Die ersten Atemzüge eines Neugeborenen markieren einen entscheidenden Moment im
Leben, aber insbesondere für Frühgeborene stellt das Atemnotsyndrom (ANS) oder
respiratory distress syndrome (IRDS) eine besondere Herausforderung dar. Diese
Erkrankung, auch als Surfactantmangelsyndrom bekannt, entsteht aufgrund der
strukturellen und funktionellen Unreife der Lunge und einem damit einhergehenden Mangel
an Surfactant. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, das Erscheinungsbild und die
Therapiemöglichkeiten des Atemnotsyndroms.
Surfactant und seine Funktionen
Surfactant, abgeleitet von "Surface active agent", ist ein komplexes Gemisch aus Fetten,
Kohlenhydraten und Proteinen. Diese Substanz wird in den Typ-II-Pneumozyten der Lunge
produziert. Interessanterweise beginnt die Bildung von Surfactant bereits ab der 22./23.
Schwangerschaftswoche, dennoch entfaltet es erst ab der 35./36. Woche seine volle
Funktionalität.
Die Wirkung von Surfactant ist vielfältig und entscheidend für die Atemfunktion der Lunge:
1. Senkung der Oberflächenspannung: Es reduziert die Oberflächenspannung zwischen
der Luft-Wasser-Grenze in den Lungenbläschen. Dadurch wird verhindert, dass die
Lunge nach der Ausatmung zusammenfällt.
2. Dehnbarkeit der Lunge: Surfactant fördert die Dehnbarkeit der Lunge und verringert
die Atemarbeit.
3. Stabilisierung kleiner Bronchien
4. Verbesserter Transport von Atemwegssekreten
5. Immunologische Funktion: Surfactant unterstützt die immunologische Abwehr in der
Lunge.
6. Gasaustausch: Durch all diese Funktionen verbessert Surfactant den Gasaustausch in
der Lunge.
Ursachen des Surfactantmangels
Die Unreife der Lunge von Frühgeborenen führt zu einem Mangel an Alveolen, den kleinen
Lungenbläschen, und einem damit einhergehenden quantitativen Mangel an Surfactant
produzierenden Zellen.
Ein weiterer Einflussfaktor kann ein erhöhter Verbrauch von Surfactant sein. Dieser kann
beispielsweise durch Infektionen, Aspiration von Mekonium, Blutungen, übermäßigen
Flüssigkeitsansammlungen in den Lungen und Sauerstoffunterversorgung während der
Geburt entstehen.
Zusätzlich besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung des Atemnotsyndroms bei
mütterlichem Diabetes, Kaiserschnitten und bei einem männlichen Geschlecht des Kindes.
Erscheinungsbild
Kinder, die am Atemnotsyndrom leiden, zeigen auffällige Symptome innerhalb der ersten
Lebensstunden. Diese umfassen Tachypnoe (erhöhte Atemfrequenz), Dyspnoe (erhöhte
Atemarbeit) mit Nasenflügeln, Einziehungen in den Brustkorb, stöhnende Atemgeräusche,
Blässe und eine Blauverfärbung der Haut.
Therapiemöglichkeiten
1. Prophylaxe bei drohender Frühgeburt: Bei einer drohenden Frühgeburt kann die
Gabe von Glukokortikoiden an die Mutter die Reifungsprozesse der Lunge des
ungeborenen Kindes stimulieren und das Risiko für das Atemnotsyndrom reduzieren.
2. Nach der Geburt:
- CPAP (continous positive airway pressure): diese minimalinvasive
Beatmungsform unterstützt die Atmung und verhindert das Zusammenfallen
der Lunge nach der Ausatmung.
- Surfactant-Gabe: Die direkte Gabe von Surfactant, gewonnen aus Schweineoder Rinderlungen, kann über einen Beatmungsschlauch direkt in die Lunge
erfolgen oder im Rahmen von INSURE (Intubation, Surfactantgabe,
Extubation) mit anschließender CPAP-Therapie. Bevorzugt werden jedoch
minimalinvasive Methoden wie LISA (less invasive surfactant administration).
Hier wird neben der CPAP-Beatmung eine dünne Sonde in die Luftröhre
eingeführt, Surfactant appliziert und die Sonde anschließend entfernt.
Die genannten Therapieansätze haben das gemeinsame Ziel, die Alveolen zu öffnen und die
Austauschfläche für Sauerstoff und Kohlendioxid zu vergrößern. Dies führt zu einer
Verringerung des Sauerstoffbedarfs, verbessert die Atmung und senkt das Risiko für weitere
Komplikationen.
Quellen:
Teisig, D., Jipp, H.: Neonatologische und pädiatrische Intensiv- und Anästhesiepflege. Berlin,
Springer; 2016.
AWMF-Leitlinie: Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin e.V. (GNPI):
S2k-Leitlinie Surfactanttherapie des Atemnotsyndroms Frühgeborener (RDS)
https://viamedici.thieme.de/lernmodul/8675905/4958921/surfactant-mangelsyndrom#_2B019B80_E565_4E22_83F0_01631CBF4AB8